Globalisierte Informations- und Lieferketten und auch ein (zum Glück) gewachsenes Bildungsniveau führen zu exponentiell wachsender Komplexität für Unternehmen und entsprechend gestiegenen Ansprüchen an multidisziplinäre Zusammenarbeit. Echte Kollaboration, oft fälschlicherweise mit Teamwork verwechselt, bringt Abhilfe, aber der Weg dahin ist für viele steinig. Dabei gibt es einfache Mittel einen Einstieg in das Thema zu finden, der zu mehr gegenseitiger Wertschätzung und damit auch Öffnung für gemeinsame. neue und kreative Lösungen führt.
Während die Welt immer komplexer wird, lassen sich die Klagen von Unternehmern und Führungskräften mehr und mehr auf einige wenige Herausforderungen zusammen fassen. Die zunehmend globalisierte und digitalisierte Konkurrenz wird immer schneller und kreativer und gewinnt dadurch Marktanteile, während man selbst mit diesen Herausforderungen kaum noch Schritt halten kann. Man probiert sich in Agilität, Digitalisierung ist ganz oben auf der Agenda, voller Fokus auf Talente und auch das Unternehmen wurde mehrfach umstrukturiert, um diesen Hürden gerecht zu werden. Und trotzdem – es scheint nie zu reichen. Die Zeiten, in denen man die Kontrolle über die eigenen Ergebnisse und damit die Sicherheit über den Fortbestand des Unternehmens in den eigenen Händen hatte, scheinen vorbei.
Trotz oder wegen Brainstormings kein Erfolg in Sicht?
Während Teamwork ein effizienter Weg ist, bekannte Wege zu beschreiten, ist für komplexe oder interdisziplinäre Herausforderungen Kollaboration das probate Mittel. “Collaboration” rangiert inzwischen auf Platz 3 der wichtigsten Softskills wie das World Economic Forum schreibt, gleich nach den großen Dauerbrennern Leadership und Kommunikation. Um reproduzierbar und damit planbar herausstehende und kreative Lösungen zu entwickeln führt kein Weg mehr daran vorbei, mehr Mitarbeiter gleichzeitig zur Lösung eines Problems heran zu ziehen. Leider werden beide Zusammenarbeitsmodelle noch zu oft verwechselt und daher arbeiten oft Menschen mit falschen Methoden an der Lösung der richtigen Probleme.
Diese Mitarbeiter und Führungskräfte sitzen heute so selten am Schreibtisch wie nie zuvor. Allein seit dem Jahrtausendwechsel hat sich der Anteil der Meetings an der Arbeitszeit jedes Jahr um 10% erhöht. In diesen Meetings, Gremien und Workshops versucht man gemeinsam, trotz oft unterschiedlicher oder gar konträrer Jahresziele, abteilungsübergreifende Innovations-Projekte zu stemmen, um der Lage Herr zu werden. Es werden Brainstormings gehalten und es wird diskutiert – und dennoch steht man am Ende immer noch nicht an der Spitze gegen all die Konkurrenz.
Nicht nur die unterschiedlichen Ziele sind daran Schuld. Letztlich sitzen Menschen in diesen Gremien, die im besten Fall für ihre Ideen kämpfen, teils jedoch nicht einmal sagen, was sie denken, nicht gehört werden oder aufgrund von Multitasking nicht bei der Sache sind.
Gruppendynamiken (Cohesiveness, Role building etc.) und Biases (Shared Information, Confirmation Bias usw.), die zu suboptimalen Entscheidungen in diesen Gruppen führen, sind nicht zuletzt durch den Aufstieg der kognitiven Forschung seit Jahrzehnten bekannt. Und dennoch wird in der täglichen Arbeitspraxis weiter auf die alten Zugpferde Diskussion und Brainstorming gesetzt, die diese Faktoren begünstigen. Never change a winning horse. But are we still winning? Wie es aussieht, nicht. Nicht umsonst hat mal jemand schlaues gesagt: “A Camel is a Horse, designed by a Committee”.
Bleibt nur: Weiterbildung. Im Trainingsbereich klagt man jedoch über ähnliche Herausforderungen. Der Weg vom klassischen Training über die Begleitung bis hin zur eigenmotivierten Anwendung und Verhaltensänderung ist nicht nur zu lang, sondern auch zu teuer geworden.
Leider werden neue Frameworks oft zu unflexibel eingesetzt
Selbst moderne Frameworks wie Agile oder Design Thinking, die auf optimale Zusammenarbeit setzen und denen oft Allheilkraft zugesprochen wird, sind bereits nahezu 20, bzw. 40 Jahre alt und wurden damit für Zeiten entwickelt, in denen die Situation noch weitaus einfacher zu Überschauen war. Zusammengerechnet könnten sie mit 60+ Jahren bald in Rente gehen, und leider werden sie zu oft auch auf eine Weise angewendet, dass es sich ebenso anfühlt.
Natürlich werden im Bereich Agilität und Design Thinking wichtige Hilfestellungen gegeben, um vielen der heutigen Herausforderungen zu begegnen. Leider wird hier zu oft eine alte Bibel gegen eine neue, ebenso inflexible Religion, wie den glauben an die postindustriellen Hierarchien eingetauscht. Dabei heißt Agilität, sich flexibel anzupassen – zu experimentieren, was für das eigene Unternehmen passt – und das muss eben nicht jede Anweisung aus z. B. der Scrum-Bibel sein. Sich inspirieren lassen von Erfahrungen anderer ist gut – aber jedes Unternehmen ist kulturell und prozessual anders aufgestellt und benötigt daher auch individuelle Lösungen, die nur mit den Betroffenen selbst entwickelt werden können.
Es gibt einen einfachen ersten Schritt zur Lösung
Trotz all dieser Herausforderungen – es gibt erprobte Möglichkeiten, wie jedes Team und jede (interdisziplinäre) Projektgruppe gemeinsam kreativere Ideen generieren und bessere gemeinsame Entscheidungen treffen kann, um komplexe Herausforderungen effizient zu lösen. Das Spannende: Es benötigt dafür nicht einmal großen Lern- oder Trainingsaufwand.
LEGO, noch vor wenigen Jahren am Abgrund der Insolvenz, fing wie viele an, seine Mitarbeiter in Agilität und Design Thinking auszubilden. Bis es merkte – es geht zu langsam voran – der Abgrund kommt weiter näher. Die radikale Entscheidung, einen Großteil des Headquarters aus ihrer täglichen Arbeit zu befreien und in Design Sprints “the future of play” zu entwickeln war radikal – aber wirksam. Mit über 100 Design Sprints in nur einem Jahr haben sie ihre Kollaborationsfähigkeit in kürzester Zeit optimieren können. Der Vorteil an der Sache: Ohne Ausbildung oder Vorwissen, was ein Design Sprint ist, konnten Mitarbeiter an einem Workshop gemeinsam Lösungen für die komplexen Probleme des Unternehmens generieren. Abgesehen von psychologischen Effekten auf die Identifikation mit den Problemen und Lösungen und damit auch der Firma an sich, gab es jedoch eine ungeplante aber hilfreiche Überraschung. Die Mitarbeiter haben während des Workshops selbst gelernt, wie man auch abteilungsübergreifend miteinander positiv und wirksam zusammenarbeitet.
Der Mindset ändert sich bereits während des Workshops
Nachdem wir bei DAY8 nun seit 1,5 Jahren regelmässig Design Sprints und darauf basierende Speed Workshops durchführen, haben wir Gleiches festgestellt. Während der Prozess – an sich eine strukturierte Aneinanderreihung des “Best-of” von Agile, Design Thinking, Strategie und Erkenntnissen aus kognitiver Forschung verpackt in einen 4-5 tägigen Prozess – tatsächlich die besten Ergebnisse liefert, die wir trotz langjähriger Management-Erfahrung bisher gesehen haben, passiert etwas viel Spannenderes. Die Veränderung der mentalen Einstellung und damit verbunden des Verhaltens, die bei normalen Trainings erst nach langer Zeit und Begleitung greift, passiert hier bereits während des Workshops. Die Methoden sind nicht nur einfach, effizient und effektiv, sie machen den Teilnehmern so viel Freude, dass sie im Anschluss gern so weiter arbeiten wollen. Das gibt nicht nur dem aktuellen Projekt einen Boost, auch kollaborative Herausforderungen im Anschluss werden von Teilnehmern automatisch mit den Methoden aus dem Sprint umgesetzt.
Teilnehmer der Workshops wollen nur noch so zusammenarbeiten
Nicht jedes Problem benötigt 4 Tage wie in einem vollen Design Sprint, um einen guten Lösungsweg zu finden. Aber braucht es die 4 Tage, um die Motivations- und Verhaltensänderung beim Mitarbeiter zu erreichen?
Meiner Erfahrung nach verändert sich die Motivation bereits innerhalb von einem Tag. Um den Großteil der Teilnehmer jedoch dazu zu bewegen, die Methoden auch nach dem Workshop wirklich weiter anzuwenden, ist aus unseren Beobachtungen ein zweiter begleiteter Tag wichtig.
Letztlich basiert der Design Sprint, wie er im Buch oder in den weiterentwickelten Versionen der führenden Agenturen AJ&Smart (2.0) und der Design Sprint Academy (3.0) beschrieben wird, auf einigen wenigen sehr simplen Prinzipien, die man auf jeden Workshop und jedes komplexe Thema anwenden kann – unabhängig von Länge oder Inhalt. Natürlich hilft dabei auch die Legitimation und Weisung des Managements – nötig ist sie allerdings nicht. Jedes Team oder jede Projektgruppe kann auch losgelöst damit starten.
Wenige sehr einfache Prinzipien führen zu einer positiven Verhaltensänderung
Aus meiner Sicht sind vor allem 3 Effekte ausschlaggebend bei der Anwendung der Sprint-Methode. Sie führen nicht nur zu besseren Ergebnissen im Workshop, sondern bringen die Teilnehmer auch dazu, die Arbeitsmethoden nicht nur zu akzeptieren, sondern sie intrinsisch motiviert in ihren Arbeitsalltag zu integrieren.
- Gegeneinander wird zu Miteinander
- Ein grundlegendes Prinzip von Design Sprints ist das “Working alone together”. Nachweislich generieren Individuen mehr und bessere Ideen, wenn keine Gruppe sie einschränkt. Eine Gruppe ist wiederum besser im Bewerten dieser Ideen.
- Die Übungen sind daher fast ausschließlich darauf ausgelegt, dass zuerst jeder für sich arbeitet, um alle Gedanken aufzuschreiben. Niemand wird dabei von den Ideen oder Verhaltensweisen der anderen Gruppenmitglieder beeinflusst oder eingeschränkt.
- Jeder Teilnehmer stellt im Anschluss seine Inputs der Gruppe vor. Diskutiert (und damit negiert) wird nicht – wenn dann dürfen Verständnisfragen gestellt werden. Damit werden nicht nur von allen Teilnehmern Inputs gesammelt, sondern jeder erhält auch eine ungestörte Plattform, seine Gedanken vorzubringen.
- Im Anschluss werden die Ideen gemeinsam gruppiert. Hierbei entsteht ein neuer spannender Effekt. Während in normalen Diskussionen Ideen gegeneinander aufgewogen werden, werden durch Gruppierung Gemeinsamkeiten gefunden. Anstatt “Meine Idee ist besser als Deine…”, heisst es nun: “Meine Idee ist verbunden mit Deiner”.
- Kein Input wird damit als grundlegend falsch erachtet. Jeder fühlt sich involviert und angehört, ohne dass Gruppenmitglieder ihm “das Gesicht nehmen”. Psychologisch steht das diametral zu gewohnten Diskussionsrunden in denen Antworten meist mit “Ja, aber” oder “Nein, weil” beginnen. Hier wird es zu “Ja, und…” und “Es kann klappen, wenn…”.
- Im letzten Schritt wählt die Gruppe die besten Inputs mit denen im Anschluss weiter gearbeitet wird. Bei business-kritischen Themen gibt es einen autorisierten finalen Entscheider, der sicher stellt, dass die Unternehmensinteressen gewahrt werden. Bis dahin sind jedoch alle Meinungen gehört – ebenso ein Unterschied, da normalerweise erst die Richtung von oben vorgegeben wird, bevor man alle Meinungen dazu eruiert. Damit braucht es nicht mehr den mutigen Kritiker, der sich gegen das Management stellt, – jeder bringt seine Ideen vor, das Management entscheidet erst, nachdem alle Inputs transparent gemacht wurden.
- Die Aufgaben selbst sind so einfach wie effektiv. Eines der wichtigsten und gleichzeitig simpelsten Tools ist das Note&Vote, wie oben beschrieben. Der Design-Sprint- Prozess konzentriert sich auf ca. 5 Tools, das Note&Vote kommt dabei in verschiedenen Ausführungen zur Anwendung. Wir bei DAY8 arbeiten zusätzlich mit einigen Ideation Tools, die im ursprünglichen Prozess fehlen, um die Denkstrukturen der Teilnehmer noch mehr zu herauszufordern.
- Iteration führt zu Identifikation
- Erste Ideen sind bekanntlich selten die besten, bzw. ausgefeilt genug. Es liegt auf der Hand, dass über mehrere Iterationen eine Lösung besser wird.
- Was nicht ganz so offensichtlich ist, ist, dass auch hier ein psychologischer Effekt bei den Teilnehmern eintritt.
- Mit jeder Iteration übernimmt der Teilnehmer die von der Gruppe ausgewählten Ideen, aber es sind im ersten Schritt nicht immer seine eigenen. Wie bei einem Auftrag von jemand anderem ist die Identifikation mit fremden Ideen anfangs nicht zu 100% gegeben. Darf der Teilnehmer wiederum darauf aufbauend sich selbst erneut einbringen, wird die neue Idee nach und nach zu seiner eigenen.
- Mehrere Iterationen führen dazu, dass jeder Teilnehmer sich stärker mit der Lösung identifiziert, als wir das bisher gewohnt waren. Das hilft, in späteren Herausforderungen mit mehr Kraft und Motivation die Umsetzung dennoch weiter zu treiben. Andere positive Effekte liegen auf der Hand.
- Ein wichtiger Teil im Buch ist es, Anwender in der frühen Phase zu Ihrer Meinung zu befragen. Data over Gut-Feeling heißt das Prinzip im Sprint Buch. Oft glaubt man, die beste Lösung gefunden zu haben und stellt erst fest, dass man blinde Flecken hat, wenn man mit dem Anwender seiner Lösung spricht.
- Strikte Struktur macht den Kopf frei für Kreativität
- Wenn man den besten Produktivitätsbibeln glauben schenken darf, ist Fokus einer der Hauptfaktoren, um viel zu schaffen. Für Kreativität wiederum ist wichtig, seinen “Attentional Space” frei zu machen. Beides ist Teil des Design Sprints und sollte es auch in allen anderen Workshops sein.
- Durch die vorgegebene Aneinanderreihung von Aufgaben, die die Teilnehmer erfüllen, wird die Verantwortung für den gesamte Prozess an den Moderator übertragen. Was am Anfang für die Teilnehmer ungewohnt erscheint, wird schnell zur Entlastung. Sie machen sich alsbald keine Gedanken mehr über das, was als nächstes getan werden muss. Dadurch wird Platz frei im Kopf für mehr Ideen. Gleichzeitig sind die Aufgaben auf sehr kleine und fokussierte Bereiche ausgelegt, so dass voll fokussiert an den jeweiligen Themen gearbeitet wird.
- Timeboxing oder genau geplante Zeitabschnitte geben dem Ganzen eine Struktur und garantieren dabei, dass kein Zeitverzug im Workshop aufkommt. Beim Prokrastinieren werden Aufgaben auf die letztmögliche Zeit geschoben und unter Zeitdruck Höchstleistungen erbracht. Genau das geschieht beim Timeboxing – es gibt es nur noch diese letztmögliche Zeit. Wer strikte Agendas, die einfachste Form des Timeboxing nutzt, kann laut Untersuchungen bereits die benötigte Zeit in Meetings um bis zu 80% reduzieren. Man stelle sich vor, was möglich ist, wenn man die Themen-Schritte noch weiter herunter bricht.
Aus anstrengender Diskussion wird ergebnisorientierte Zusammenarbeit
Zusammengefasst kann man sagen, dass durch die Nutzung einiger simpler Methoden nicht nur Workshop-Ergebnisse signifikant verbessert werden können. Langfristig viel wichtiger mag sein, dass den Mitarbeitern eine motivierende Arbeitsweise aufgezeigt wird, mit denen sie auch nach dem Workshop schneller bessere Ergebnisse erarbeiten können. Aus anstrengender Diskussion wird positive, motivierende und ergebnisorientierte Zusammenarbeit, die sogar Energie freisetzt und über übliche Kooperation hinausgeht. Das ist der erste und wichtigste Schritt, zu langfristiger Kollaboration zu gelangen, die auf Wertschätzung und optimaler Kommunikations- und Methodenkompetenz basiert.
Positive Effekte, die durch die richtige Anwendung von obigen Arbeitsmethoden zu erwarten sind, sind daher nicht nur für die Projekt-Dimensionen Geschwindigkeit und Kosten zu erwarten (durch erhöhte Identifikation, Kreativität, weniger Change Requests usw.), sondern und vor Allem auch für Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung.
Fritz Seidel
Co-Founder DAY8 Innovation Advisory
This post was first released on LinkedIn
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